Die „kleine Schwester“ des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist die Wiedereingliederung. In dieser Zeit sind Betroffene weiterhin krankgeschrieben, kehren aber nach einem vom Arzt aufgestellten Plan zurück an den Arbeitsplatz, um Schritt für Schritt wieder ins Arbeitsleben zurückzufinden. Doch nun gibt es ein neues Urteil. Der Reihe nach…
Bei einer Wiedereingliederung geht es um Beschäftigte, die ihre bisherige Tätigkeit nach ärztlicher Feststellung teilweise wieder ausüben können. Diese eingeschränkte Arbeitsfähigkeit soll genutzt werden, um sie stufenweise wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern, auch „Hamburger Modell“ genannt.
Das sind die Voraussetzungen der Wiedereingliederung
Die schrittweise Wiedereingliederung eines langzeiterkrankten Beschäftigten ist unter folgenden Voraussetzungen möglich:
1. Die oder der Betroffene ist während der Maßnahme weiterhin arbeitsunfähig
Für Betroffene muss also noch ein Geldleistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse oder einem Rehabilitationsträger (z. B. Kranken- oder Übergangsgeld) bestehen.
Für die gesamte Dauer des Wiedereingliederungsverfahrens gilt die oder der Betroffene als arbeitsunfähig, mit der Konsequenz, dass er oder sie keinen Arbeitslohn, sondern Entgeltfortzahlung erhält.
Wenn die Arbeitsunfähigkeit über den Entgeltfortzahlungszeitraum durch den Arbeitgeber hinaus besteht, haben Betroffene nur noch einen Anspruch auf Lohnersatzleistungen wie Krankengeld vom zuständigen Rehabilitationsträger. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter gilt aber auf keinen Fall durch die Arbeitsaufnahme als wieder gesundgeschrieben.
Achtung: Fahrtkosten werden nicht erstattet!
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) erkennt die stufenweise Wiedereingliederung nicht als Arbeitsverhältnis an. Eine Geldzahlung des Arbeitgebers erfolgt immer nur freiwillig. Diese würde auch auf das Krankengeld angerechnet. Aber:
Sinnvoll kann eine Fahrtkostenerstattung oder ein 49-Euro-Ticket sein. Denn das Sozialgericht Koblenz hat gerade entschieden: Die Fahrtkosten, die im Rahmen der stufenweisen Wiedereingliederung anfallen, werden nicht von der Krankenkasse erstattet (am 6.6.2023 veröffentlichtes Urteil vom 24.04.2023, Az. S 11 KR 418/21). Doch gerade in dieser Situation brauchen Betroffene jede Unterstützung! Machen Sie sich als Schwerbehindertenvertretung stark dafür!
2. Arbeitgeber und Betroffene erklären sich mit der Maßnahme einverstanden
Wie das Betriebliche Eingliederungsmanagement kann auch die Wiedereingliederung nur durchgeführt werden, wenn die oder der Betroffene dies auch möchte. Sie ist also freiwillig. Daneben muss auch die Krankenkasse zustimmen. Die sträubt sich in der Regel aber nicht. Je schneller jemand wieder in regulärer Arbeit ist, umso eher wird die Kasse entlastet.
3. Kein Rechtsanspruch auf Wiedereingliederung
Ein betriebliches Eingliederungsmanagement muss der Arbeitgeber anbieten (§ 162 Abs. 2 SGB IX). Anders sieht es bei der Wiedereingliederung aus:
Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine Wiedereingliederung durchzuführen, wenn ein ärztliches Gutachten noch erhebliche Einschränkungen vorsieht und die Maßnahme damit wenig aussichtsreich erscheint. Zwar kann die oder der Beschäftigte mit einem eigenen Gutachten gegenhalten – aber erst dann, wenn von ärztlicher Seite aus grünes Licht für die Wiedereingliederung gegeben wird. Dann ist der Arbeitgeber auch in der Pflicht (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.5.2019, Az. 8 AZR 530/17).
Doch so oder so: Machen Sie sich als Schwerbehindertenvertretung stark dafür, dass eine solche Wiedereingliederung stattfindet, wenn die oder der Betroffene das möchte. Denn diese Maßnahme hat sich in vielen Fällen als probates Mittel zur Rückkehr ins Arbeitsleben erwiesen.
Urteil: Wiedereingliederung verhindert Kündigung!
Ein Plan zur Wiedereingliederung spricht deutlich gegen eine krankheitsbedingte Kündigung. So hat es erst kürzlich das Landesarbeitsgericht Köln entschieden (LAG Köln, Urteil vom 28.3.2023, Az. 4 Sa 659/22).
Im entschiedenen Fall hatte ein Arbeitnehmer bereits zwei BEMs hinter sich. Nun stand eine Wiedereingliederung an. Doch die wartete der Arbeitgeber erst gar nicht ab. Er kündigte vorher. Zu Unrecht, wie das LAG Köln entschied:
Natürlich hätte der Arbeitgeber den Abschluss der Widereingliederung abwarten müssen. Zudem wäre der Arbeitgeber verpflichtet gewesen, ein neues Betriebliches Eingliederungsmanagement anbieten müssen. Aufgrund der positiven Prognose der behandelnden Ärzte – erkennbar durch Aufstellung des Wiedereingliederungsplans – habe es auf der Hand gelegen, dass sich die aktuellen Umstände seit dem letzten Angebot auf Durchführung einer betrieblichen Wiedereingliederung zeitnah ändern könnten.
Übersicht: Wiedereingliederung – Diese Punkte sind wichtig! ((DL-Button))
- Die stufenweise Wiedereingliederung dient dazu, arbeitsunfähige Beschäftigte nach länger andauernder, schwerer Krankheit bzw. nach Eintritt einer Behinderung im Rahmen eines ärztlich überwachten Stufenplans schrittweise wieder an die volle Arbeitsbelastung am bisherigen Arbeitsplatz oder an einem für den Arbeitnehmer geeigneten Arbeitsplatz im Unternehmen heranzuführen und so den Übergang zur vollen Berufstätigkeit zu erleichtern.
- Zur Wiedereingliederung wird vom behandelnden Arzt ein individueller Stufenplan unter Berücksichtigung der Leistungseinschränkung und der Arbeitsplatzanforderungen erarbeitet. Eine stufenweise Wiedereingliederung kommt nach dem Bundearbeitsgericht stets nur bei Vorlage eines konkreten Wiedereingliederungsplans in Betracht (Urteil vom 13.6.2006, Az. 9 AZR 229/05).
- Die Wiedereingliederung muss an dem Arbeitsplatz erfolgen, an dem der oder die Beschäftigte nach der Wiedereingliederung auch weiter arbeitet.
- Deshalb erfolgt im Anschluss an die Erstellung des Stufenplans ein Abgleich von den Arbeitsplatzanforderungen und dem Fähigkeitsprofil. Gegebenenfalls muss danach beispielsweise eine Anpassung durch organisatorische Maßnahmen am Arbeitsplatz erfolgen.
- Während der gesamten Wiedereingliederungsphase ist der betroffene Arbeitnehmer oder die betroffene Arbeitnehmerin weiter im Status der Arbeitsunfähigkeit. Er bzw. sie muss keine elektronische Zeiterfassung durchführen. Zudem bekommt er oder sie während der Zeit in der Regel den vollen Satz Krankengeld.