Betriebliches Eingliederungsmanagement: Diese hohen Hürden schützen vor Kündigungen
Erkrankt einer Ihrer schwerbehinderten Kollegen länger als 6 Wochen am Stück oder ist mehr als 6 Krankheitswochen innerhalb von 12 Monaten häufig kurz erkrankt, ist Ihr Arbeitgeber dazu verpflichtet, dem Betroffenen eine Maßnahme des Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten. Gesetzlich ist das in § 167 Abs. 2 SGB IX geregelt. Wichtig ist dabei vor allem, dass das BEM nicht von einer Seite abgebrochen wird.
Ein jetzt veröffentlichtes aktuelles Urteil des AG Bremen-Bremerhaven (24.2.2022, Az. 8 Ca 8152/21) macht das deutlich: Ein erkrankter Arbeitnehmer konnte die BEM-Gespräche nicht weiterführen, da er erneut erkrankte. Ein neuer Termin wurde von Seiten des BEM-Beauftragten abgebrochen, woraufhin der Arbeitnehmer die Kündigung erhielt. Er klagte und hatte damit Erfolg! Denn: Sein Arbeitgeber hätte das BEM nicht einseitig abbrechen dürfen. Das BEM wurde nicht den Regeln entsprechend durchgeführt.
Ohne BEM ist die Kündigung nicht wirksam
Im entschiedenen Fall fand aufgrund zahlreicher Fehltage und Erkrankungen des Mitarbeiters, bereits 10 Jahre zuvor ein BEM-Verfahren statt. Bevor die Gespräche abgebrochen wurden, fanden bis zum Frühjahr 2021 einmal monatlich BEM-Gespräche statt.
Stellungnahme des Mitarbeiters ist relevant
Die Kündigung wurde durch das Arbeitsgericht aufgehoben, da sie unverhältnismäßig sei und der Mitarbeiter keine Möglichkeit zu einer abschließenden Stellungnahme hatte. Eine einseitige Beendigung des BEM-Verfahrens hätte daher nicht stattfinden dürfen.
Dabei ist das BEM doch grundsätzlich freiwillig. Doch schon hier steckt der Teufel im Detail. Das zeigte der Fall eines schwerbehinderten Mitarbeiters, der seit 2014 jedes Jahr mehr als 6 Wochen arbeitsunfähig war. Lehnt der betroffene Kollege ein BEM ab oder führt das BEM zu keinem Ergebnis, heißt das nicht, dass das Thema auch erledigt ist. Das zeigte ein wenig bekanntes Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Mainz vom 26.1.2021 (Az. 6 Sa 124/20).
Die Fehltage des Mitarbeiters beruhten auf Kurzerkrankungen, z. B. wegen Diabetes mellitus, Rückenbeschwerden und Bronchitis. Der Arbeitgeber hatte den Mitarbeiter seit 2015 wiederholt vergeblich zum BEM eingeladen. Auch auf eine erneute Einladung vom 20.8.2018 und eine Erinnerung am 10.9.2018 reagierte der Mitarbeiter nicht.
Im Januar 2019 beantragte dieser Mitarbeiter eine Verkürzung seiner Arbeitszeit auf 32,6 Wochenstunden. Zu zwei in der Folge angebotenen Personalgesprächen erschien er nicht. Erst am 17.6.2019 fand ein Personalgespräch statt. Dabei bot der Arbeitgeber dem Mitarbeiter an, ausschließlich in der Frühschicht zu arbeiten. Aber er lehnte ab. Am gleichen Tag sprach der Mitarbeiter jedoch noch mit der Betriebsärztin, die ihm empfahl, mit dem Rauchen aufzuhören, Sport zu treiben und abzunehmen – wovon der Mitarbeiter nichts hielt.
Am 15.8.2019 kündigte der Arbeitgeber dem Mitarbeiter fristgemäß, nachdem er zuvor die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebsrat angehört sowie die Zustimmung des Integrationsamts eingeholt hatte.
Kündigung unwirksam wegen Fehlern beim BEM
Die Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters hatte, trotz des uneinsichtigen Verhaltens des Mitarbeiters und obwohl der Arbeitgeber mit weiteren beträchtlichen Fehlzeiten rechnen musste, Erfolg. Grund: Dem Arbeitgeber waren Fehler bei den Einladungen zum BEM unterlaufen:
- Vor der Kündigung hätte eine erneute Einladung zum BEM erfolgen müssen
Zwischen der letzten Aufforderung zum BEM vom 10.9.2018 und der Kündigung vom 15.8.2019 war der Mitarbeiter erneut länger als 6 Wochen arbeitsunfähig. Der Arbeitgeber hätte den Mitarbeiter vor der Kündigung daher erneut zum BEM einladen müssen. Weil er diese Einladung versäumt hatte, spielte es keine Rolle, dass der Mitarbeiter die früheren Einladungen ignoriert hatte.
Wichtig
Entsprechend entscheiden auch andere Gerichte. Sogar, wenn seit dem letzten durchgeführten oder abgelehnten BEM deutlich weniger als 1 Jahr vergangen ist (z. B. LAG Düsseldorf, Urteil vom 9.12.2020, 12 Sa 554/20).
- Die letzte Einladung zum BEM enthielt nicht alle notwendigen Informationen
Auch wenn keine erneute Einladung zum BEM erforderlich gewesen wäre, hätte sich am Urteil der Mainzer Richter nichts geändert. Darauf weisen sie in ihrem Urteil ausdrücklich hin. Denn die letzte Einladung zum BEM vom 20.8.2018 informierte nicht darüber, welche Daten in welchem Umfang beim BEM erhoben werden sollten, und dass der Mitarbeiter beispielsweise die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds hätte ablehnen können
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