Als erstes Gericht in Deutschland hat das Arbeitsgericht Köln den erweiterten Schutz von Schwerbehinderten in der Probezeit, den der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits angemahnt hatte, in ein Urteil aufgenommen. Die Richter entschieden, dass auch in der Wartezeit ein Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX durchgeführt werden muss, um eine Kündigung zu vermeiden.
Dienstherr kündigte in der Wartefrist
Ein in verschiedenen Kolonnen eines Bauhofs beschäftigter Kollege war zu 80 % schwerbehindert. Innerhalb der ersten 6 Monate seiner Beschäftigung erkrankte der Kollege arbeitsunfähig, woraufhin ihm der Dienstherr noch vor Ende der 6-monatigen Wartefrist kündigte.
Der Kollege klagte, weil seiner Ansicht nach die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des § 164 Abs. 2 SGB IX und damit unwirksam sei. Vielmehr hätte der Dienstherr ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchführen und ihm einen leidensgerechten Arbeitsplatz zuweisen müssen. Der Dienstherr sah das naturgemäß anders und wandte ein, in der Wartezeit nicht zu einem Präventionsverfahren verpflichtet zu sein.
Obwohl der Personalrat, die SBV und das Integrationsamt der Kündigung zustimmten, da diese in der Wartezeit standfand, fiel das Urteil zu Gunsten des schwerbehinderten Kollegen aus. Die Kündigung ist damit unwirksam. Denn die Richter entschieden: Arbeitgeber müssen auch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ein Präventionsverfahren, mit dem die Kündigung möglichst noch abgewendet werden soll, durchführen.
Präventionsverfahren auch in der Wartezeit
In der Begründung verweist das Arbeitsgericht auf die unionsrechtskonforme Auslegung des Gesetzes. § 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, sobald Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die eine weitere Beschäftigung gefährden.
Dies hatte der Dienstherr hier nicht getan. Als dieser bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit nach seiner Meinung nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und den Erwartungen nicht entsprach, hätte er Präventionsmaßnahmen ergreifen und zuerst die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen. Hier folgten die Arbeitsrichter auch der Argumentation des EuGHs, dass dies auch schon in der Wartezeit zu erfolgen hat, um eine mögliche Diskriminierung bereits in dieser Phase des Arbeitsverhältnisses zu verhindern. (ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23).
Ein Umdenken ist erforderlich
Man sieht, dass es von der für schwerbehinderte Beschäftigte erfreulichen Rechtsprechung des EuGHs bis in die Praxis noch ein weiter Weg ist. Selbst die SBV der Dienststelle ist im vorliegenden Fall davon ausgegangen, dass eine Kündigung in der Wartezeit ohne Durchführung von Präventionsmaßnahmen möglich ist. Denn das war bisher auch gängige Praxis.
Auch das vorliegende Urteil wird möglicherweise die Gerichte noch weiterhin beschäftigen, da das ArbG Köln entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes entschieden hat. Es ist deshalb zu erwarten, dass sich Arbeitgeber weiterhin gegen die in ihren Augen unzumutbaren Belastungen der Prävention in der Wartezeit erwehren werden.
Tipp: Sollte Ihnen ein solcher Fall auf den Tisch kommen, weisen Sie Ihren Arbeitgeber oder Dienstherren und auch Betriebs- bzw. Personalrat auf dieses Urteil hin. Möglicherweise lässt sich tatsächlich intern eine bessere Lösung finden, als sich auf ein langes Gerichtsverfahren einzulassen.