Nach einer Kündigung hat der Betroffene drei Wochen Zeit, um beim Arbeitsgericht eine Kündigungsschutzklage zu erheben. Das gilt für jeden Arbeitnehmer und natürlich auch für Ihre schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen. Wenn der Arbeitgeber oder Dienstherr hier jedoch nicht korrekt vorgeht, verlängert sich diese Frist zu Gunsten der gekündigten Schwerbehinderten erheblich, wie dieser aktuelle Fall zeigt.
Der Gekündigte versäumte die Klagefrist
Ein 60-jähriger, schwerbehinderter Produktionshelfer arbeitete bei einem Leiharbeitsunternehmen in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Noch vor Ende der Befristung kündigte das Unternehmen im Januar 2023. Der Gekündigte erhob zunächst keine Kündigungsschutzklage.
Als der Kollege im Juni 2023 nun doch Klage erhob, rieb sich der Arbeitgeber die Hände und wähnte leichtes Spiel, da er die 3-wöchige Kündigungsfrist nach § 4 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) abgelaufen wähnte. Dort heißt es:
„Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist.“
Arbeitnehmer hatte das Inklusionsamt nicht beteiligt
Doch hier hatte das Leiharbeitsunternehmen einen Fehler gemacht: Es hatte das Integrationsamt (je nach Bundesland auch Inklusionsamt genannt) nicht eingeschaltet und dessen Genehmigung nicht eingeholt. Und das hätte es gemusst, da die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers zweifellos vorlag. Die Folge daraus: die 3-Wochen-Frist hatte noch nicht begonnen. Denn § 4 KSchG besagt auch:
„Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.“
Wie Sie wissen, bedarf die Kündigung eines schwerbehinderten Beschäftigten durch den Arbeitgeber nach § 168 Sozialgesetzbuch (SGB) IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Ohne dies ist eine Kündigung nicht möglich.
Das Gericht begründet die Folgen für die Frist genauer: Da diese Beteiligungspflicht des Integrationsamts für alle ordentliche und außerordentliche Beendigungs- und Änderungskündigungen gilt, hatte das Fehlen der Zustimmung zur Folge, dass die 3-Wochen-Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichtes noch gar nicht begonnen hatte. Durch §4 KSchG wird nämlich der Gekündigte bis zum Vorliegen der behördlichen Zustimmung geschützt und die fehlenden Informationen im Hinblick auf die erforderliche behördliche Zustimmung können nicht zu seinen Lasten gehen.
Das Arbeitsgericht urteilt: Die Kündigung war nichtig
Das Arbeitsgericht stellte deshalb fest, dass die Kündigung wegen fehlender Zustimmung des Inklusionsamtes nicht nur unwirksam, sondern sogar nichtig war. Zudem konnte sich der Arbeitgeber natürlich auch nicht auf den Ablauf der 3-wöchigen Klagefrist berufen, da die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung des Integrationsamtes an den schwerbehinderten Kollegen zu laufen beginnt. (Arbeitsgericht Iserlohn Urteil vom 24.10.2023, Az. 4 Ca 675/23)
Ohne Integrationsamt bleiben 6 Monate Zeit
Das Arbeitsgericht machte weiterhin deutlich, dass der Arbeitgeber ohne Zustimmung des Inklusionsamtes zur Kündigung noch damit rechnen musste, dass der schwerbehinderte Arbeitgeber noch eine Kündigungsschutzklage einreichen würde. Hier verwies das Arbeitsgericht auf § 5 KSchG. Dort gibt es eine Regelung zur nachträglichen Zulassung einer Kündigungsschutzklage innerhalb von 6 Monaten, die in diesem Fall einschlägig war. Diese Frist von 6 Monaten hatte der schwerbehinderte Produktionshelfer als Kläger eingehalten.
Tipp: Auch, wenn dieses Urteil die Rechte der Schwerbehinderten stärkt, können sich die gekündigten schwerbehinderten Kollegen nicht auf diese lange Frist verlassen. Da Sie als SBV vom Arbeitgeber oder Dienstherren umgehend informiert werden müssen, sollten Sie dem Gekündigten zu einer schnellen Klageerhebung raten, damit alle seine Rechte gewahrt bleiben.
Ihre Informationsrechte bei der Kündigung Schwerbehinderter
Im vorliegenden Fall gab es keine SBV in dem Unternehmen, anderenfalls wäre es sicherlich nicht so weit gekommen. Allerdings ist auch davon auszugehen, dass ein Arbeitgeber oder Dienstherr, der das Integrationsamt auslässt, auch Ihre Rechte als Schwerbehindertenvertretung in diesem Fall übergehen würde.
Aber auch Ihre Information bleibt Pflicht, damit die Kündigung überhaupt durchgeführt werden kann. Anhand der folgenden Checkliste können Sie prüfen, ob Sie von Ihrem Arbeitgeber oder Dienstherren über alle wichtigen Punkte der Kündigung informiert wurden.
Checkliste: Diese Informationen muss Ihnen als SBV Ihr Arbeitgeber zur Kündigung mitteilen
Check | |
Bei der beabsichtigten Kündigung handelt es sich um eine: | |
ordentliche Kündigung | |
Änderungskündigung | |
außerordentliche Kündigung | |
Als Kündigungsgründe werden genannt: | |
verhaltensbedingte Gründe oder Fehlverhalten | |
Schlecht- bzw. Minderleistung | |
langanhaltende Erkrankung | |
häufige Fehlzeiten | |
Anforderungen der Arbeit stimmen nicht mehr überein mit den Fähigkeiten des behinderten Menschen | |
Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit auf Zeit | |
Betriebsänderung bzw. Neuorganisation des betrieblichen Arbeitsablaufs | |
Betriebsschließung oder -Teilschließung | |
Betriebsverlagerung Verlagerung des Dienstorts |
Nur wenn aus der Erklärung des Arbeitgebers Art und Grund der Kündigung hervorgehen, sind Sie hierzu ausreichend informiert.