Wie schwierig die Prüfung einer zumutbaren Versetzung ist, zeigt ein aktuell veröffentlichtes Urteil: Man muss bei der Abwägung ganz genau hinsehen und wirklich alle Aspekte berücksichtigen. Das haben die Heilbronner Richter hier vorbildlich getan.
Versetzung in die Tagschicht
Ein 55-jährige Bergmann, der einen der Grad der Behinderung von 50 nachweisen kann, stritt mit seinem Arbeitgeber über die Zulässigkeit einer Versetzung. Er arbeitete seit drei Jahren 40 Stunden pro Woche in Dauernachtschicht von 21:55 Uhr am Sonntag bis 6:05 Uhr.
Der Arbeitgeber versetzte den Bergmann nun von seinem bisherigen Arbeitsplatz in ein neues Schichtmodell, bei dem er im Wechsel in Früh- und Spätschichten arbeiten sollte. Die Nachtschicht sollte ab sofort nur noch mit Leiharbeitnehmern besetzt werden.
Nachteile durch Schichtwechsel
Sie werden denken: Das klingt doch gar nicht so schlecht. Immerhin sind die Belastungen der Dauernachtschicht bekannt und eine Änderung sollte dem Bergmann doch entgegenkommen. Er war da jedoch anderer Ansicht. Denn seine freie Zeit nutze er vor allem am Wochenende, um mit dem Zug zu seiner Familie zu fahren. Da aber die Spätschicht auch freitags erst um 22 Uhr endete und er am Montag wieder früh ranmusste, lohnten sich Heimfahrten an den Wochenenden mit dem Zug für ihn nicht mehr. Er klagte also gegen die Versetzung.
Direktionsrecht ermöglicht die Versetzung
Da aus dem Arbeitsvertrag nicht hervorging, dass der schwerbehinderte Bergmann nur in der Nachtschicht eingesetzt werden sollte, war die Versetzung grundsätzlich als unternehmerische Entscheidung vom Direktionsrecht gedeckt. Und eigentlich war damit die Sache klar: der Arbeitnehmer musste sich dem Willen der Chefetage beugen.
Ist eine Abwägung möglich?
Das Arbeitsgericht stellte aber heraus, dass im Einzelfall besonders schwerwiegende Belange des Arbeitnehmers dem Direktionsrecht entgegenstehen können. Das sei der Fall, wenn die zugrundeliegende unternehmerische Entscheidung Nachteile birgt bzw. sie willkürlich oder missbräuchlich erscheinen lässt.
Das bedeutet: Wenn sich also einem objektiven Beobachter aufdrängen muss, dass die Maßnahme des Arbeitgebers den Arbeitnehmer unnötig belastet, kann sie gegen billiges Ermessen verstoßen und damit zu Unrecht erfolgt sein.
Die Maßnahme war hier unbillig
Die Richter hielten nun tatsächlich die Versetzung für unbillig. Zum einen argumentierten Sie, dass die Interessen des schwerbehinderten Festangestellten gegenüber denen der Leiharbeitnehmer vorgehen müssen.
Zum andern führte das Gericht an, dass mit der Versetzung Nachtzuschläge wegfielen und auch die familiäre Situation des Bergmanns unter den neuen Umständen leiden würde. Im Ergebnis würden dessen Interessen gegenüber denen des Arbeitgebers überwiegen (Amtsgericht Heilbronn (3. 5 2023 – 1 Ca 1/23).
Das Ergebnis: Eine Abwägungs-Blaupause für Sie
Im vorliegenden Fall lag kein Einspruch der Schwerbehindertenvertretung vor. Doch macht das Gericht hier genau das, was auch Sie als Schwerbehindertenvertretung in einem solchen Fall gemacht hätten: Eine Abwägung im Einzelfall.
Gemäß §178 Abs. 2 SGB IX ist im Fall der Versetzung eines schwerbehinderten Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin die Schwerbehindertenvertretung zwingend anzuhören. Andernfalls wäre die Maßnahme von vorneherein unwirksam gewesen.
Damit liegt aber der schwierigste Job auf Ihrem Tisch. Nämlich abzuwägen, ob die Versetzung in Ordnung ist oder nicht. Und wie man hier gut erkennt, ist das ohne einen genauen Blick auf die Umstände des Einzelfalles nicht möglich. Denn selbst eine vermeintliche Verbesserung der Arbeitssituation kann für den Schwerbehinderten eine unzumutbare Härte darstellen.
Vielleicht ergeben sich Umstände, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen, aber für Ihre Anhörung wichtig sind. Und nicht zu vergessen: Auch Ihr Dienstherr oder Arbeitgeber profitiert von Ihrer Sicht, denn so können Klagen gegen Versetzung vermieden werden.
Tipp: Machen Sie es wie die Richter! Holen Sie sich alle zur Verfügung stehenden Informationen ein und reden Sie vor allem intensiv mit den schwerbehinderten Kollegen. Machen Sie eine Pro- und Kontra-Liste und schauen Sie, welche Nachteile und welche Vorteile sich für den schwerbehinderten Kollegen oder die Kollegin wirklich ergeben.