Inkludierte Gefährdungsbeurteilung
Ihr Arbeitgeber ist laut ArbSchG dazu verpflichtet, alle möglichen Gefährdungen, die am Arbeitsplatz entstehen können, zu ermitteln, zu bewerten und Maßnahmen einzuleiten, damit die Beschäftigten vor diesen Gefahren geschützt werden. Und das schließt auch die Beschäftigung von schwerbehinderten Mitarbeitern ein. Im folgenden Beitrag lesen Sie, wie Sie vorgehen und was Sie beachten müssen, wenn Sie Ihre Gefährdungsbeurteilung an Mitarbeiter mit Behinderung anpassen und durchführen.
In Deutschland leben knapp 7,9 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung. Davon waren laut Angaben der Agentur für Arbeit im Jahr 2020 1,11 Millionen schwerbehinderte Menschen bei Arbeitgebern mit jahresdurchschnittlich monatlich zwanzig oder mehr Arbeitsplätzen beschäftigt.
Und trotzdem gibt es noch immer zu viele kleine oder mittlere Unternehmen, die sich bei der Einstellung von Menschen mit Behinderung vorsichtiger verhalten. Sicher liegt ein Aspekt in der Unsicherheit, einen Arbeitsplatz einzurichten, der nicht nur behinderungsgerecht, sondern auch sicher ist. Doch hier hilft Ihnen die so genannte inkludierte Gefährdungsbeurteilung, die mit gezielten Leitfragen gefährdende Aspekte berücksichtigt.
Übrigens: Mit Ihrer Gefährdungsbeurteilung können Sie auch feststellen, ob Mitarbeiter mit ausgeprägter Behinderung oder mehrfach schwerbehinderte Mitarbeiter trotz besonderer Arbeitsschutzmaßnahmen mit bestimmten Aufgaben nicht betraut werden dürfen bzw. können.
Die Gefährdungsbeurteilung führen Sie in folgenden Prozessschritten durch:
- Vorbereitung Gefährdungsbeurteilung
- Gefährdungen ermitteln
- Gefährdungen beurteilen
- Arbeitsschutzmaßnahmen festlegen
- Arbeitsschutzmaßnahmen durchführen bzw. umsetzen
- Wirksamkeit der Maßnahmen überprüfen
- Ergebnisse dokumentieren
- Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung
- Vorbereitung Gefährdungsbeurteilung
Legen Sie zunächst die Arbeitsbereiche fest, die beurteilt werden und an denen die Mitarbeiter mit Behinderung tätig sind. Außerdem stellen Sie sämtliche notwendige Information für Ihre Gefährdungsbeurteilung zusammen, wie Arbeitsschutzverordnungen, Technische Regeln etc. Denken Sie an die Prüfung vorliegender Unterlagen wie Berichte des Betriebsarztes, Protokolle zu Arbeitsmittelprüfungen usw.
Das ist zum Beispiel wichtig, wenn Sie einen Mitarbeiter mit Hörbehinderung haben. Hier sollten Sie z. B. Messprotokolle zu Lärmmessungen prüfen. Denken Sie auch an die Prüfung von Hygieneplänen und Notfallplänen.
- Gefährdungen ermitteln
Damit Sie feststellen können, welche Maßnahmen notwendig sind, sollten Sie zunächst mögliche Gefährdungsfaktoren für Mitarbeiter mit Behinderung ermitteln. Denken Sie dabei vor allem an die individuellen Bedürfnisse des Beschäftigten mit Behinderung. Und daran, dass die Gestaltung des Arbeitsplatzes muss um die betroffenen Beschäftigten herum vorgenommen werden muss, je nach Fertigkeiten und Fähigkeiten.
Dazu ist es wichtig, dass Sie die Tätigkeit und den Arbeitsplatz mit den Augen des Mitarbeiters mit Behinderung sehen.
Einbeziehung der Mitarbeiter mit Behinderung
Ziehen Sie zu Ihrer Gefährdungsbeurteilung die Beschäftigten mit ein. Das kann über gemeinsame Arbeitsplatzbesichtigungen oder über Mitarbeiterbefragungen, z. B. im Rahmen von Unterweisungen oder durch anonymisierte Fragebögen, erfolgen. Übrigens: Auch Gruppengespräch bieten eine gute Methode zur Einbeziehung der Beschäftigten. Dabei werden unter Anleitung eines Moderators Gefährdungen und Belastungen am Arbeitsplatz und Lösungsmöglichkeiten zu ihrem Abbau diskutiert.
Tipp
Beziehen am besten Ihre Schwerbehindertenvertretung mit in den Prozess der Gefährdungsbeurteilung mit ein. Sie kann Sie mit ihrem Sach- und Fachverstand sehr gut unterstützen. Denken Sie ggf. auch an die Einbindung von Betriebsrat, Betriebsarzt und die Integrationsträger.
Aspekte für Ihre Analyse der Ist-Situation am Arbeitsplatz könnten sein:
- Die Arbeitsumgebung sollte weder eine Unter- noch eine Überforderung darstellen. Die Gestaltung des Arbeitsplatzes sollte den Mitarbeiter befähigen, seine vereinbarte Leistung erbringen zu können.
- Mögliche Barrieren am Arbeitsplatz müssen beseitigt werden.
- Anpassung an individuelle Bedürfnisse des Beschäftigten mit Behinderung
- Die in speziellen Vorschriften festgelegten Beschäftigungsbeschränkungen werden eingehalten
Achten Sie auf mögliche Wechselwirkungen mit dem Arbeitssystem, aus dem möglicherweise weitere oder spezielle Gefahren für Ihre Mitarbeiter mit Behinderung entstehen können.
Gefährdungsfaktoren ergeben sich z. B. aus …
- mechanischen Gefährdungen, z. B. durch Kontakt mit kontrolliert oder unkontrolliert bewegten Teilen und mit gefährlichen Oberflächen, SRS-Unfälle usw.
- elektrischen Gefährdungen wie Hochspannung, Niederspannung usw.
- Gefahrstoffen wie Gefährdungen durch Einatmen oder Hautkontakt, Brand- oder Explosionsgefährdungen usw.
- biologischen Arbeitsstoffen, z. B. bei Laborarbeit etc.
- thermischen Gefährdungen wie heiße oder kalte Oberflächen, Dampf, siedendes Wasser usw.
- physikalische Einwirkungen wie Lärm, Vibrationen, optische Strahlung, Unter- oder Überdruck usw.
- Arbeitsumgebungsbedingungen wie Klima, Beleuchtung, Gestaltung der Arbeitsstätte, Erreichen der Rettungswegen usw.
- physische Belastungen wie Heben, Tragen, Ziehen oder Schieben von Lasten usw.
- psychische Faktoren, wie Zeiträume für Erledigung von Arbeitsaufgaben, Entscheidungsgestaltung, soziale Interaktion usw.
- Gefährdungen beurteilen
Wenn Sie alle Gefährdungsfaktoren erfasst haben, geht es um die Bewertung der einzelnen Gefährdungsfaktoren. Die Beurteilung der ermittelten Gefährdungen kann durch ein spezielles Verfahren, z. B. mit der Risikomatrix durchgeführt werden.
Dabei ist auf der Grundlage der
- Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Schadens (sehr gering bis hoch) und der
- möglichen Schwere des Schadens (leichte Verletzungen bis möglicher Tod)
einzuschätzen, ob das vorhandene Risiko akzeptabel ist. Auf Grundlage dieser Matrix wird für jede ermittelte Gefährdung eine Maßzahl bestimmt, über die der Bedarf an Maßnahmen zur Risikominderung abgeleitet werden kann.
Für den Fall, dass vorhandene Gefährdungsfaktoren eine erhöhte Gefährdung in Verbindung mit der Einschränkung des betroffenen Mitarbeiters hervorrufen können, muss eine weitere Überprüfung stattfinden.
Dabei sollten Sie ermitteln, ob durch das Zusammentreffen der Einschränkung der Gefährdung oder der fehlenden Handlungsfähigkeit ein erhöhtes Gefährdungsrisiko besteht. Ist das der Fall, müssen Sie erweiterte Arbeitsschutzmaßnahmen umsetzen, damit ein ausreichendes Sicherheitsniveau erreicht wird.
- Arbeitsschutzmaßnahmen festlegen
Für die Umsetzung von Schutzmaßnahmen gehen Sie nach dem Ihnen bekannten STOP-Prinzip vor:
- Substitution bzw. Alternative möglich?
- technische Maßnahmen einsetzen, um Gefährdungen zu reduzieren
- organisatorische Maßnahmen einsetzen, um Gefährdungen zu reduzieren
- Persönliche Schutzausrüstung einsetzen, um Gefährdungen zu reduzieren
- Arbeitsschutzmaßnahmen durchführen bzw. umsetzen
Auf Grundlage Ihrer so festgelegten Maßnahmen werden diese umgesetzt. Am besten erstellen Sie dazu einen Maßnahmenplan, in dem Umsetzungstermine und Verantwortliche festgelegt sind, z. B. Begleitung durch Schwerbehindertenvertretung usw..
- Überprüfung der Wirksamkeit
Die von Ihnen festgelegten Maßnahmen sind auf vollständige Umsetzung hin zu überprüfen. Klären Sie, ob die Maßnahmen zu einer Gefährdungsbeseitigung bzw. -reduzierung geführt haben – oder, ob dadurch womöglich neue Gefährdungen entstanden sind.
Die Überprüfung kann z. B. durch Beobachtung, Messung oder Befragung erfolgen. Berücksichtigen Sie aber, dass manche Maßnahmen nicht unmittelbar wirksam werden, sondern erst mittel- oder langfristig Auswirkungen zeigen.
Wichtig
Wenn trotz Umsetzung der festgelegten Maßnahmen die Schutzziele nicht erreicht werden, müssen Sie die vorherigen Prozessschritte wiederholen, um weitere Maßnahmen zu ermitteln. Das Ergebnis der Überprüfung müssen Sie dokumentieren Dokumentation zu vermerken. Denken Sie dabei an Datum der Überprüfung und Name des Prüfenden.
Eine Gefährdungsbeurteilung für (schwer-)behinderte Mitarbeiter zu erstellen, ist nicht ganz einfach. Ganz einfach, weil jede Einschränkung individuell ist und jede Tätigkeit eigene Gegebenheiten aufweist, die für den betroffenen Beschäftigten zu Gefährdungen führen können. Deshalb ist bei dieser Gefährdungsbeurteilung ganz besonders „Teamwork“ gefragt, damit auch Ihre Mitarbeiter mit Handicap jederzeit sicher Ihre Arbeit verrichten können.
Näheres zum Thema Gefährdungsbeurteilung finden Sie hier.
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